DECHEMA-Blog

"Grenzgänger gesucht": So blickt die ProcessNet-FG Fluiddynamik und Trenntechnik in die Zukunft

Erstellt von Marina Korogodska , 04.01.2021

Mit dem neu-gewählten Vorsitzenden der ProcessNet-Fachgemeinschaft Fluiddynamik und Trenntechnik, Prof. Dr.-Ing. Marcus Grünewald, Inhaber des Lehrstuhls für Fluidverfahrenstechnik an der Ruhr Universität Bochum, und seinem Stellvertreter, Dr. Thomas Runowski von der Bayer AG, haben wir über aktuelle Fragestellungen der Community gesprochen und erfahren, welche Themenschwerpunkte kurz- und langfristig Entwicklungspotential aufweisen. Außerdem haben sie uns verraten, welches Strategiepapier derzeit aus der ProcessNet-Initiative „Wanted Technologies“ und den Impulsen beim Tutzing Symposium 2019 entsteht und welches Know-How neue Mitglieder der FG Fluiddynamik und Trenntechnik mitbringen sollten.

Herr Prof. Dr. Grünewald, für welche Themen steht die Fachgemeinschaft Fluiddynamik und Trenntechnik?

In den letzten beiden Jahrzehnten haben die Fachgruppen und Mitglieder der Fachgemeinschaft auf einer Reihe von neuen Forschungsfeldern ihren Beitrag geleistet. Multifunktionale Apparate, Methoden der Prozessintensivierung, Mikrotechnik und modulare Verfahrenstechnik sind die bekanntesten Schlagworte. Neben solchen Innovationsthemen standen aber auch prozess- bzw. industrienahe Fragegestellungen im Fokus unserer Aktivitäten in der Fachgemeinschaft FDTT. Beispielhaft sind dafür drei Initiativen:

Zum ersten sind das die regelmäßigen EPHA-(Effiziente Phasenführung in Kolonnen)-Treffen, in denen sowohl grundlegende als auch praxisnahe Fragestellungen zu Trennkolonnen diskutiert und Forschungsprojekte entwickelt werden. Forschungsvorhaben wie ERICCA zu Extraktionsapparaten, TERESA zur Tropfenabscheidung in Kolonnen oder auch SAMARA zur Aufklärung von Foulingvorgängen in Trennapparaten sind die prominentesten Beispiele für die vielfältigen Projektideen, die aus dem EPHA-Kreis entwickelt worden sind.

Zum zweiten ist da der Campus Mehrphasenreaktoren (früher Campus Blasensäulen). Seit drei Jahren wird hier in Forschungsprojekten an aktuellen Fragestellungen aus Industrieunternehmen zu diesen Apparatetypen gearbeitet. Jüngstes Beispiel ist das Projekt INGE zur besseren Beschreibung mehrphasiger Fermenter mit integrierter Produktabtrennung.

Als dritte Aktivität möchte ich die Initiative “Sensorik für die Digitalisierung chemischer Produktionsanlagen‘ erwähnen, die sich aus unserer Fachgemeinschaft heraus entwickelt hat. Auf der Grundlage einer breit angelegten Diskussion zum Einsatz von Sensoren in "gläsernen" Trennapparaten hat die FG mit den Verantwortlichen auf diesem Gebiet einen sehr gefragten Workshop zur Thematik durchgeführt. In den nächsten Monaten kommt es darauf an, die entwickelten Projektcluster mit Leben zu füllen und Forschungsvorhaben zu beantragen.

Welche Themenschwerpunkte möchten Sie in der Fachgemeinschaft zukünftig setzen? Wo sehen Sie kurz- und wo mittelfristig Entwicklungspotential für die Arbeit der Fachgemeinschaft?

Schon unter der vorherigen Leitung der FG durch Prof. Dr. techn. Hans-Jörg Bart und Dr.-Ing. Marcus Paul Grün, denen ich auf diesem Wege noch einmal ganz herzlich für ihre geleistete Arbeit danken möchte, wurde die Erstellung eines Positionspapiers angestoßen, das in Kürze veröffentlicht wird. Darin werden die Herausforderungen an die Fluiddynamik und Trenntechnik aufgezeigt und die zukünftigen Forschungsthemencluster benannt.

Kurzfristig wird es im Wesentlichen darauf ankommen, die Energie- und Rohstoffwende aus Sicht der Trenntechnik zu begleiten. Die Entwicklung von für die chemische Industrie passfähigen Energieeintrags- und Energieverwertungskonzepten oder auch die Entwicklung hybrider bzw. integrierter Apparatekonzepte wird im Fokus zukünftig koordinierter Forschung stehen. Ein Schwerpunkt liegt dabei insbesondere auf kleineren und flexibleren Produktionskonzepten – gern auch in Mehrproduktanlagen.

Mittelfristig müssen wir uns in der Trenntechnik aber auch der Methodenentwicklung widmen. Die Entwicklung von Methoden für eine validierte mehrphasige Strömungssimulation und für die Abbildung von Phasenbildungsvorgängen ist dabei eines der Schwerpunktthemen. Auch die Entwicklung und Anwendung mehrskaliger (dynamischer) Modellansätze zur (experimentell) validierten Simulation großvolumiger Apparatevolumina sollte Gegenstand gemeinsamer Forschungsaktivitäten von Industrie und Akademia sein.

Herr Dr. Runowski, die Fachgemeinschaft bietet dank ihren Mitgliedern bereits heute ein sehr breites Wissensspektrum. Welche Eigenschaften und welches Know-How sollte jemand mitbringen, um die Fachgemeinschaft weiter zu bereichern?

Die Fachgemeinschaft FDTT hat mit 15 Fachgruppen eine enorme fachliche Breite zu bieten, da ist es nicht notwendig, dass der Einzelne sich in allen Fachgebieten auskennt. Trotzdem halten wir es für wertvoll, diese Breite weiterhin anzubieten. Sie bildet einerseits die industrielle Realität ab und andererseits findet auf diese Weise ein intensiver fachlicher Austausch statt. Wertvoll für die Fachgemeinschaft sind damit Interessenten, die zum einen Gemeinsamkeiten über die Fachgruppengrenzen hinaus erkennen (z.B. Ausbildung, Netzwerke, Methoden) und zum anderen geeignete Foren und Teams unterstützen, in denen aktuelle Herausforderungen diskutiert und angegangen werden können. Besonders, da sich Letztere nicht an die Grenzen der Fachgruppen halten, meistens auch nicht an die der Fachgemeinschaften, sind es genau sie, die grenzüberschreitende Kooperation fördern. Diese gesuchten „Grenzgänger“ haben durch große Expertise den Rückhalt in ihrer Fachgruppe, aber auch den Mut, außerhalb ihrer Expertise kritische Diskussionen zu führen.

Sämtliche Themenschwerpunkte, die Marcus Grünewald oben genannt hat, erfordern gruppenübergreifende Zusammenarbeit, aber auch konkretere Themen, wie z.B.: die CFD-Simulation der Strömung in einer Packung inklusive deren tomografischer Validierung oder hybride Trennkonzepte aus Membran- und Destillationstechnik. Industrievertreter kennen die Herausforderung, verschiedene Disziplinen für den Projekterfolg an einen Tisch zu bringen und zu einer intensiven Zusammenarbeit zu bewegen.

An dieser Stelle möchte ich auch explizit die Industrievertreter der KMUs als wichtige Mitglieder in den Ausschüssen erwähnen. Denn in unserer industriellen Landschaft sind die KMUs heute oft die Lieferanten technisch/apparativer Innovationen. Sie können hervorragende Beiträge zur Lösung aktueller Herausforderungen liefern.

Worin zeigen sich die besonderen Stärken Ihrer Fachgemeinschaft?

Die Stärke der Fachgemeinschaft FDTT liegt in der Vielfalt unserer Themen, kombiniert mit der ProcessNet-Initiative „Wanted Technologies“. Die Vielfalt bietet den Lehrstühlen und der Industrie auf dem breiten Gebiet der Verfahrenstechnik bzw. des Chemieingenieurwesens eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten. Auf Seiten der Industrie wird eine hausinterne fachliche Diskussion zunehmend schwierig, da die Organisationen zusammenwachsen und häufig nur noch wenige Fachleute pro Fachgebiet übrigbleiben – manchmal nur eine einzige Person. Dann bietet die Fachgruppe die Möglichkeit für den Austausch mit Experten des eigenen Fachgebietes.

"Wanted Technologies" bietet darüber hinaus die Möglichkeit, dass die Lehrstühle intensiv mit der Industrie über konkrete Projekte diskutieren und gemeinsame Forschungsthemen lancieren können. Die Auswahl der Themen kann stets verbessert werden und so wurde das Tutzing-Symposium 2019 dazu genutzt, um neue Impulse zu sammeln. Sie werden nun im Temporären Arbeitskreis "Separation Units 4.0" zu einem Strategiepapier zusammengefasst. Darin sind die Herausforderungen benannt, mit denen sich die Fachgemeinschaft in den nächsten 10 Jahren konfrontiert sieht.

Außerdem wird abgeleitet, welche Forschungsaktivitäten daraus resultieren sollten. Auf diese Weise wird  sichergestellt, dass die strategisch richtigen, nämlich zukunftsorientierten Themen angegangen werden. Dies kann dazu führen, dass die Forschungsergebnisse nicht unmittelbar in der Industrie genutzt werden können. Die Forschung sollte Themen anarbeiten, Lösungen anbieten und den industriellen Nutzen deutlich anzeigen – nicht die verlängerte Werkbank der Industrie sein. Für eine unmittelbare industrielle Umsetzung von Forschungsergebnissen korrespondieren die Zeitschienen von Akademia und Industrie häufig nicht ausreichend. Dies sollten auch die Geldgeber der Forschungsarbeiten berücksichtigen.

Zuletzt möchte ich noch den Austausch auf den Jahrestreffen loben. Sie bieten für die industriellen Partner sehr interessante Vorträge, Poster und Austauschforen. Zudem erhöhen gemeinsam ausgetragene Jahrestreffen. mit wechselnder Beteiligung der einzelnen Fachgruppen, den wertvollen interdisziplinären Austausch.

Weitere Informationen über die Aktivitäten und Mitglieder ProcessNet-Fachgemeinschaft Fluiddynamik und Trenntechnik

 


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2 Kommentar(e)

Geschrieben am 13.01.2021 um 20:33:24 von Marcus Grünewald:

Lieber Herr Meldau,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich würde Sie bitten, sich am besten direkt an unsere Fachgruppe Kristallisation zu wenden. Den Vorsitz haben derzeit Prof. Matthias Kind (KIT) und Dr. Matthias Rauls (BASF) inne. Falls Ihnen die Kontaktdaten fehlen, schreiben Sie mir gerne per E-Mail. Ich leite Ihr Anliegen dann weiter.
Mit freundlichen Grüßen
Marcus Grünewald


Geschrieben am 07.01.2021 um 18:17:51 von Dr. Ing. Henning Meldau:

Ihr Vorhaben kann ich nur unterstützen. Leider kann ich zu Blasensäulen und Kolonnentechnik nichts beisteuern.

Zur Zentrifugentechnik habe ich vor 20 Jahren verschiedene Vorträge gehalten und einen Forschungsantrag zusammen mit Prof. Einenkel gestellt, leider vergeblich. Der Drallsatz der Mechanik wird immer noch nicht angemessen berücksichtigt!

Das Thema Kristallisation basiert auf 40 Jahre alten Überlegungen. K+S als Unternehmen das im großen Stil Kristallisation betreibt, arbeitet bei der ProcessNet nicht mehr mit. Warum?!

Zum Thema Kristallisation habe ich für dieses Jahr bei einer Dechema Veranstaltung einen Vortrag angemeldet. Ich bin gespannt ob ich zum Zuge kommen werde.
Mit freundlichem Gruß
Henning Meldau



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