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DECHEMA-Blog

Wasserstoff: ein Energiemittel?

Erstellt von Simone Angster , 04.10.2022

Im Jahr 1991 leitete Günter Beckmann vom Unternehmen Hüls aus Marl (heute Evonik) seinen Beitrag in den Nachrichten aus der Chemie über Wasserstoff so ein: [1] „Ist Wasserstoff das Energiemittel der Zukunft? Leider muss man diese Frage verneinen. Zwar ist das leichteste aller Gase eine interessante Chemikalie, deren Verwendungsvielfalt noch steigen wird – eine Sonderschau auf der diesjährigen ACHEMA ist der Wasserstofftechnik gewidmet –, doch bedeutet das nicht, dass die anderen Energiemittel durch Wasserstoff verdrängt oder beherrscht werden. Eine Wasserstoffwelt wird es nicht geben.“

Aus damaliger Sicht waren sowohl die verfügbare Menge an Wasserstoff als auch die Wirtschaftlichkeit der Herstellung Argumente gegen eine Wasserstoffwirtschaft. Stattdessen rückte Beckmann eine direkte Nutzung von Strom aus erneuerbaren und nichtfossilen Quellen in den Vordergrund. 

Viele der Aussagen des Artikels stimmen heute noch: die Notwendigkeit, Energie zu sparen und fossile Brennstoffe, nachwachsende Rohstoffe und Abfallstoffe rationell zu nutzen und dazu Energien wie Kernkraft, Wasserkraft, Windkraft und Photovoltaik. Die Rolle des Wasserstoffs muss allerdings aus heutiger Sicht revidiert werden. Wasserstoff ist ein wesentliches Element in einem künftigen Energiesystem. 

Baustein für die Energiewende

Wasserstoff lässt sich vielfältig nutzen: Als Energieträger lässt er sich ähnlich wie Erdgas transportieren und speichern, er dient zum Speichern volatilen, erneuerbar erzeugten Stroms, als Brennstoff zur Strom- und Wärmeerzeugung, als Kraftstoff in der Mobilität und im Rahmen seiner stofflichen Eigenschaften als Rohstoff für Chemie- und Raffinerieprodukte oder als Reduktionsmittel in der Metallurgie.

Dementsprechend analysieren viele Akteure die technischen und wirtschaftlichen Grenzen der Wasserstoffnutzung. Dies ist im Einklang mit der politischen Agenda, die auf grünen Wasserstoff als Baustein für die Energiewende und die Transformation zu einer treibhausgasneutralen Gesellschaft setzt. [2,3]

Die erklärten Ziele zum Ausbau der Wasserstoffwirtschaft sind nur der Anfang einer technischen Revolution. Wie diese Wasserstoffwirtschaft aussehen könnte, untersucht das von den Bundesministerien für Bildung und Forschung (BMBF) sowie für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) getragene und von der Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, Acatech, und der DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie bearbeitete Projekt H2-Kompass.

Das Konzept grünen Wasserstoffs beruht auf der ausschließlichen Nutzung erneuerbar erzeugter Energien, um diesen zu erzeugen. Mit diesem Strom wird Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Fragen zur Nutzung von Off-Shore-Wind-Potenzialen, um Wasserstoff und Folgeprodukte herzustellen, verfolgt das BMBF-Leitprojekt H2Mare mit Beteiligung der DECHEMA.

Daneben entsteht Wasserstoff als Koppelprodukt, etwa in der Chlor-Alkali-Elektrolyse. Eine Herausforderung bei der Wasserelektrolyse besteht im Übergang zu größeren Elektrolyseureinheiten. Die Techniken, die für eine Massenfertigung von Elektrolyseuren entwickelt werden, sind ein Forschungsthema im H2Giga-Leitprojekt des BMBF, in dem die DECHEMA die Vernetzungsplattform koordiniert.

Darüber hinaus wird an Verfahren geforscht, die Wasserstoff biotechnisch oder photokatalytisch erzeugen. Vor einer industriellen Anwendung sind hier aber noch Entwicklungsschritte zu durchlaufen. Für die Grundlagenforschung zentral ist das Forschungsnetzwerk Wasserstoff des BMWK, das über seine Mitglieder eine Zusammenfassung der Fragen dazu erstellt hat. [4]

Elektrolysieren und Speichern

Um Wasserstoff als temporären Stromspeicher fluktuierender Strommengen zu nutzen, bedarf es eines schnellen Elektrolyseprozesses und einer Speicheroption. Über Brennstoffzellen oder Verbrennen in wasserstofftauglichen Gasturbinen lässt sich wieder Strom gewinnen.

Großtechnisches Implementieren neuer Wasserstofftechnologien ist mit technischen, ökonomischen und regulatorischen Unsicherheiten behaftet. Daher ist das Konzept der Reallabore der Energiewende des BMWK wichtig, das die Demonstration im industriellen Umfeld fördert. Die übergreifende Transferforschung hierzu führt ein Konsortium in Tran4ReaL unter Beteiligung der DECHEMA durch.

Mit einem Leitungsnetz könnte Wasserstoff eine ähnliche Rolle wie heute Erdgas einnehmen. Die Untersuchung künftiger Wasserstofftransporttechniken ist das zentrale Thema des BMBF-geförderten Leitprojekts TransHyDE, in dem die DECHEMA den Verbund Systemanalyse koordiniert.

Die Nutzung von Wasserstoff in Brennstoffzellen für Transport wird zurzeit intensiv untersucht. Ein Beispiel ist der Nahverkehr in Frankfurt und Umgebung, der zum kommenden Winterfahrplan 2022/2023 die weltweit größte wasserstoffbetriebene Zugflotte mit 27 Zügen startet. [5]

In der Roheisenerzeugung kann Wasserstoff den bisher verwendeten Koks als Reduktionsmittel ersetzen und ist damit eine Option für die treibhausgasneutrale Stahlproduktion. Neben der etablierten Nutzung in der Petrochemie lassen sich aus Wasserstoff und CO2 organische Basischemikalien und Kraftstoffe herstellen; diesem Forschungsgebiet widmet sich seit dem Jahr 2016 das Kopernikus-Projekt P2X, mitkoordiniert von der DECHEMA.

Fehlende Leitungen

Auf übergeordneter Ebene konkurriert Wasserstoff in jedem der Anwendungsfelder mit etablierten Verfahren und alternativen Konzepten. Die fossilen Energieträger haben Vorteile: Es gibt weitverzweigte weltweite Transport- und Transformationsstrukturen, günstige Kosten aufgrund etablierter Skaleneffekte (Economy-of-Scale), und der Energiegehalt ist im Molekül enthalten. Aber diese Vorteile gehen mit der Klimawirkung durch CO2-Emissionen einher. 

Wasserstoff hingegen wird zurzeit primär lokal erzeugt und genutzt. Ein Leitungsnetz existiert kaum und schon gar nicht in der Dimension, wie sie für die Umsetzung einer Wasserstoffwirtschaft nötig ist. Um die Nachteile für den Transport gasförmigen Wasserstoffs zu vermeiden, kann er verflüssigt oder in eine Trägersubstanz überführt werden, etwa in Ammoniak, Methanol, flüssige organische Wasserstoffträger (LOHC) oder Fischer- Tropsch-Synthese-Produkte. Dies muss allerdings mit den damit einhergehenden zusätzlichen Voraussetzungen, Verlusten und Aufwendungen – sowohl energetisch als auch technisch und finanziell – in Einklang gebracht werden.

Die Entscheidung, ob eine direkte Elektrifizierung (elektrischer Strom) oder eine indirekte Elektrifizierung über H2- oder PtX-Produkte ökonomisch und ökologisch am sinnvollsten ist, ist für den jeweiligen Anwendungsfall zu treffen. Generell ist es nicht einfach, elektrische Energie in Volumen einzubringen (etwa über Induktion oder Elektrolichtbogenofen), und viele Verfahren der Prozessindustrie, insbesondere die energie- und emissionsintensiven Verfahren sind Volumenprozesse. Es werden also weiterhin stoffliche Energieträger benötigt, genauso wie Materialien und Chemikalien, zu deren Erzeugung Wasserstoff wichtig sein wird.

Aus diesem Grund bildete die Wasserstoffwirtschaft Ende August den Auftakt der Thementage beim ACHEMA-Kongress. In dessen Highlight-Session wurden Entwicklungen aus Forschung und Industrie diskutiert, und die Ausstellungsgruppe Forschung und Innovation zeigte die Stände von Kopernikus und der Wasserstoff-Leitprojekte.

[1] G. Beckmann, Nachr. Chem. 1991, 39, 503
[2] https://bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Energie/die-nationale-wasserstoffstrategie.pdf?__blob=publicationFile&v=20[3] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020DC0301&from=EN 
[4] https://www.forschungsnetzwerke-energie.de/ https://t1p.de/vyu2s 
[5] https://www.infraserv.com/de/unternehmen/nachhaltigkeit/wasserstoffversorgung-brennstoffzellenzuege/ 

Dieser Beitrag ist in der Septemberausgabe der Nachrichten der Chemie erschienen und online verfügbar unter https://gdch.app/article/wasserstoff-ein-energiemittel-4129475. Autoren sind Dr. Florian Ausfelder, Fachbereichsleiter Energie und Klima, und Dr. Andreas Förster, Geschäftsführer, bei der DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V. 


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Bildquelle: Fotos (v.l.o.n.r.u.): Siemens Energy, Thyssenkrupp, H-Tec Systems, ITM Power Linde, Sunfire

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