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DECHEMA-Blog

Wenn Sie sich einen Katalysator wünschen könnten…

Erstellt von Claudia Rinck , 23.09.2020

… was würde er tun, haben wir Harun Tüysüz in unserem Interview gefragt, und die Antwort des DECHEMA-Preisträgers 2019 war eindeutig. Wie er die Aussichten auf eine klimaneutrale Chemieindustrie bis 2050 sieht, erfahren Sie außerdem hier im Interview.

Eine Frage kann ich mir nicht verkneifen: Wir haben gerade eine Studie veröffentlicht, nach der die chemische Industrie eigentlich bis 2050 treibhausgasneutral werden könnte – vorausgesetzt, man bringt die entsprechenden Technologien jetzt voran und vorausgesetzt, man hat den entsprechenden günstigen erneuerbaren Strom. Halten Sie das aus technologischer Sicht für realistisch?

Es wäre traumhaft. Ich würde wirklich gerne ja sagen, aber ich fürchte, die Umsetzung könnte sich schwierig gestalten. Ich finde es wichtig, dass wir darüber sprechen. Sowohl Deutschland als auch die EU haben sich ja das Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein. Es geht also um einen Entwicklungszeitraum von 30 Jahren. Bisher haben wir aber Probleme, unsere Ziele zu erreichen: Wenn wir uns die Treibhausemissionen des Umweltbundesamtes bis 2020 anschauen und mit denen von 1990 vergleichen, müssten wir jetzt bei 40 % weniger Emissionen sein. Tatsächlich haben wir eine Reduktion von lediglich 32 % erreicht – bis 2030 sollen es bereits 55 % weniger Emissionen sein. Die Entwicklung hat jedoch innerhalb der letzten 2-3 Jahre stagniert – wir müssen also etwas anders machen als bisher.

"Wir müssen neue Katalysatoren entwickeln"

Den Bericht der DECHEMA finde ich da sehr spannend. Hier werden drei Szenarien skizziert – ich möchte mich auf das dritte fokussieren, nachdem die chemische Industrie bis 2050 treibhausgasneutral sein könnte. Dort steht, dass die Annahmen teilweise optimistisch ausfallen und neue Technologien schneller in den Markt gebracht werden. Dafür müssten wir unter anderem neue Katalysatoren entwickeln. Nehmen wir die  Ammoniaksynthese nach dem Haber-Bosch-Verfahren. Damit produzieren wir insgesamt ungefähr 1,5 % der globalen Treibhausemissionen und des globalen Stromverbrauchs. Solche Verfahren innerhalb von 30 Jahren zu erneuern, wäre eine sehr große Herausforderung.
Wir müssten dafür neuartige Katalysatoren entwickeln, um die elektrische Ammoniaksynthese zu umgehen. Aber auch für die Wasserspaltung durch Sonnenergie in Wasserstoff benötigen wir neuartige Katalysatoren. Gleichzeitig benötigen wir mehr Wasserstoff, z.B. durch elektrochemische Wasserspaltung. Optimal wäre natürlich, wenn wir CO2 direkt in Kohlenwasserstoffverbindungen umwandeln könnten. Wenn wir also Katalysatoren für diese 3 oder 4 wichtigen Verfahren entwickeln könnten und diese dann in 30 Jahren direkt in der Industrie anwenden könnten – dann würde ich sagen, Klimaneutralität ist machbar.

"Realistisch? Eher nicht."

Aber ist das realistisch? Eher nicht. Das Verfahren der photokatalytischen Wasserspaltung wurde in den 1970er Jahren entwickelt und seitdem haben wir keine großen Sprünge gemacht. Die Katalysatoren, die wir haben, sind entweder nicht stabil oder absorbieren nur einen sehr geringen Bereich der Sonnenenergie. Die Mehrheit sind UV-absorbierende Materialien mit geringer Aktivität. Es gibt einen großen Bedarf an neuartigen Halbleitermetallen für die Solarwasserspaltung, und bei der elektrochemischen Wasserspaltung haben wir immer noch große Probleme mit dem Katalysator bei der Sauerstoffentwicklung.  Er basiert auf Ruthenium-Iridium-Oxid. Wenn wir so viel Wasserstoff erzeugen wollen, dass wir damit Kohle und Erdgas ersetzen können, brauchen wir riesige Katalysatormengen. Momentan hätten wir nicht einmal genug, um den Wasserstoffbedarf von Deutschland zu decken. Iridium ist ein ausgesprochen seltenes Element, das man hauptsächlich in Meteoriten findet – wir haben einfach nicht genug davon. Wir brauchen also Katalysatoren, die nicht auf Edelmetallen basieren.
Photo by Chokniti Khongchum on Pexels.com

Ein anderes ganz heißes Thema ist die elektrochemische Ammoniaksynthese. In einem Traumszenario könnte man Stickstoff direkt aus der Luft verwenden, dazu Wasser, grünen Strom aus Wind- oder Sonnenenergie und könnte dann an einem Katalysator bei Raumtemperatur den Stickstoff zu Ammoniak umsetzen. Bisher können wir die Mengen, die wir so erzeugen, aber nicht einmal detektieren.

"Jeder einzelne muss mitmachen"

Wir müssen daran arbeiten und besonders die Entwicklung neuer Materialien ist sehr dringend. Aber dafür müssen wir mehr investieren, wir brauchen mehr Manpower und benötigen starke Teams mit Theoretikern und Physikern, um an neuartigen Katalysatoren zu forschen. Wenn wir das alles machen und es am Ende gemeinsam mit der Industrie umsetzen, dann könnten wir es schaffen. Ich bin nicht sehr optimistisch, aber ich hoffe, dass wir es hinbekommen.

Ich sehe aber noch einen anderen Aspekt auf dem Weg zur Klimaneutralität. Um solche Ziele zu erreichen, muss jeder einzelne mitmachen. Wir alle müssen nachhaltiger leben, darauf achtgeben, wie und womit wir fahren und was wir konsumieren. Schauen Sie sich zum Beispiel die Textilindustrie an: Hier wird viel CO2 produziert und wenn die Kleidung nun zu sehr geringen Preisen verkauft wird und der Endverbraucher sie nach kurzer Zeit wegwirft, dann ist das alles andere als klimafreundlich. Das Stichwort hier lautet „Recycling“.  Wir dürfen nicht Millionen Tonnen Plastik ins Meer schütten, sondern müssen daraus neue Waren produzieren. Auch die Industrie sollte nicht CO2 oder Stickstoff in die Luft ablassen, sondern es isolieren und in andere Chemikalien umwandeln.

Wir verfolgen das zum Beispiel mit dem Projekt Carbon2Chem. Darin geht es darum, Abgase aus der Stahlindustrie zu nutzen. Wir arbeiten zusammen mit Covestro daran, das Kohlenmonoxid für die Polymerproduktion einzusetzen. Andere Partner versuchen  Kohlendioxid zu Methanol und weiteren Chemikalien umzusetzen. Insgesamt müssen wir den Umgang mit Recycling verbessern und das ist nicht nur eine Aufgabe für Regierungen und Politik. Jeder muss hier seinen Beitrag leisten, um den CO2-Ausstoß global zu verringern.

Stellen Sie sich vor, die gute Forschungsfee kommt in Ihr Labor, und Sie dürfen sich etwas wünschen:  Eine Methode, ein Werkzeug, einen Katalysator – was würden Sie sich wünschen, was Sie besonders weiterbringen würde?

Ich arbeite sehr gerne mit der Templatierungsmethode. Wir benutzen sie, um Katalysatoren mit sehr genau definierter Morphologie herstellen zu können. Mit den Synthesebedingungen können wir die Eigenschaften variieren und den Zusammenhang zwischen Struktureigenschaften und katalytischer Leistung ermitteln.

Wenn ich mir aber einen Katalysator wünschen könnte, dann wäre das einer, mit dem sich Stickstoff bei Raumtemperatur zu Ammoniak umwandeln ließe und ein Katalysator auf Basis von Übergangsmetallen für die effektive Wasserstoffherstellung.

Gerade wenn wir uns in eine nachhaltige Richtung bewegen wollen, dann wird meiner Meinung nach die Wasserstoffproduktion ein großes Problem für die Gesellschaft. Egal welches Verfahren Sie anschauen, CO2-Reduktion, Ammoniak-Synthese, Fischer-Tropsch oder Ähnliches – am Ende ist die Erzeugung von Wasserstoff der Knackpunkt. Wir brauchen also gute Verfahren und neuartige Katalysatoren, um Wasserstoff aus sauberen Quellen wie zum Beispiel Wasser herstellen zu können. Das wäre also mein Wunsch und auch der wichtigste Schritt auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft.

Herzlichen Dank für das Gespräch.


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