Deutschland und die Niederlande entwickeln bilaterale Agenda zum industriellen Einsatz von Wasserstoff und „grünem Strom“
Erstellt von Kathrin Rübberdt , 03.11.2020
Bei einem Online-Workshop diskutierten Anfang Oktober rund einhundert Vertreter aus Industrie, Forschungsinstituten, Regionen sowie Regierungsbehörden aus Deutschland und den Niederlanden Ideen für eine bilaterale Agenda zu Wasserstoff und grünem Strom für eine die nachhaltige Industrie der Zukunft. "Wir haben einander viel zu bieten im Hinblick auf erstklassiges Wissen, Infrastruktur und wichtige Industriecluster, um die Transformation wahr werden zu lassen", betonte Matthias Wessling, Lehrstuhlinhaber für Chemische Verfahrenstechnik an der RWTH Aachen und einer der Organisatoren des Workshops. Die bilaterale Agenda soll den Regierungen Deutschlands und der Niederlande im November vorgestellt werden.
"Sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden herrscht ein Innovationsklima, das die Entwicklung klimafreundlicher Technologien stark begünstigt", erklärt Mitorganisator und Vorsitzender des niederländischen Regierungsbeirats für elektrochemische Umwandlung & Materialien (ECCM), Richard van de Sanden. "Dieses starke gemeinsame Interesse bietet einen wichtigen Ausgangspunkt für ein bilaterales Programm, um künftige Kooperationen bei der Elektrifizierung der Industrie zu fördern."
Bilaterale Agenda
Der Workshops, der in enger Zusammenarbeit mit den deutschen und niederländischen Ministerien für Wirtschaft, Bildung und Forschung (BMWi, BMBF, EZK und OCW) und Roland Berger organisiert wurde, umfasste nationale Visionen und Bestrebungen, globale und bilaterale Entwicklungen bei der Energiewende sowie Sessions zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. "Wir wollen auf eine bilaterale Agenda als solide Grundlage für die Intensivierung einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf nationaler Ebene hinarbeiten", fügt Thomas Goergen, Leiter Alliance Management bei Covestro, hinzu. " Diese Agenda sollte aufzeigen, wo die relevanten Ansatzpunkte besonders mit Blick auf das bilaterale Umfeld liegen. Darüber hinaus ist eine solche bilaterale Zusammenarbeit auch als die Aufbauphase für starke multilaterale Allianzen in europäischen Partnerschaften zu sehen." Bei dem Online-Treffen, das aus Vaals in den Niederlanden übertragen wurde, beschäftigten sich die Experten in parallelen Arbeitssitzungen mit den Bereichen Materialien und Katalyse, Elektrosynthese, Elektrolyse, Systemintegration und -design sowie der Konstruktion und Herstellung von Zellkomponenten.
Intensivierung der Zusammenarbeit
Es gibt zahlreiche Gründe, die bilaterale Zusammenarbeit zur industriellen Nutzung von Wasserstoff und grünem Strom zu intensivieren. Marco Waas, Vizepräsident und Direktor für RD&I und Technologie bei Nouryon, erklärt: "Im Jahr 2019 waren die Niederlande nach Frankreich der zweitwichtigste Handelspartner Deutschlands innerhalb der EU und weltweit der viertwichtigste. Das bilaterale Handelsvolumen betrug 2018 rund 189 Milliarden Euro. Deutschland ist damit einer der wichtigsten Handelspartner der Niederlande.“ Neben diesen offensichtlichen beeindruckenden wirtschaftlichen Zahlen, so Waas, sind die einzigartigen Rahmenbedingungen in beiden Ländern vielleicht die wichtigsten Triebkräfte für Innovationen: "Deutschland verfügt über eine einzigartige Infrastruktur und verschiedene aufstrebende nationale Initiativen wie die Exzellenzcluster, Kopernikus-Projekte, Living Labs und Netzwerke im Bereich Energieforschung.“
Wessling, der eine Professur an der Universität Twente innehatte und das niederländische Umfeld sehr gut kennt, sagt: "In den Niederlanden ist eine interdisziplinäre und bereichsübergreifende Zusammenarbeit in der Mentalität verankert. Für ein relativ kleines Land mit einer offenen Wirtschaft stellen innovative Technologien ein wichtiges Exportprodukt dar.“ Nach seiner Einschätzung sind die Chancen, ein bilaterales Programm aufzubauen, sehr gut: "Es ist interessant festzustellen, dass beide nationalen Regierungen daran interessiert sind, die Chemie-, Energie- und Hightech-Produktionsindustrie und die Spitzenwissenschaft im Hinblick auf die Herausforderungen, die wir bewältigen müssen, miteinander zu verknüpfen. Intelligente Sektorenkopplung ist zudem ein Schlüsselelement der neuen Strategie der Europäischen Kommission, da sie darauf abzielt, alle Energieträger durch die Verknüpfung verschiedener Bereiche effektiver zu nutzen.
Von der Theorie zur Praxis
Van de Sanden gibt einen positiven Ausblick für die Zukunft: "Während des Expertentreffens konnten wir Ideen sammeln und aufeinander abstimmen. In den Gesprächen haben sich viele offensichtliche Partner gefunden. Dies bestätigt meine Beobachtungen, die ich anlässlich eines Besuchs deutscher Institute und Unternehmen im vergangenen Jahr im Rahmen einer Innovationsmission zur Energiewende gemacht habe.“ Van de Sanden ist zuversichtlich, dass es mit der Unterstützung der jeweiligen Regierungen möglich sein sollte, ein bilaterales Konzept zu verwirklichen. "Die gesellschaftlichen Herausforderungen, die Unternehmen und die Wissenschaft enden nicht an den nationalen Grenzen ", so Van de Sanden. Am Ende des Workshops in Vaals kündigte Van de Sanden einen mit 3,5 Millionen Euro ausgestatteten deutsch-niederländischen Fonds für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elektrochemischen Umwandlung und Materialien an. Dieser von der niederländischen Regierung zur Verfügung gestellte Fonds stellt Startkapital für die weitere Unterstützung der Vernetzung und des Austauschs von Fachwissen sowie für die Ausrichtung der ersten bilateralen Partnerschaften bereit und bereitet ein bilaterales Programm für das nächste Jahr vor.
Elektrochemische Umwandlung & Materialien – was bedeutet das?
In unserem künftigen Energiesystem werden erneuerbare Energien eine Hauptrolle beim Übergang zu einer kohlendioxidarmen Energieversorgung spielen. Dieser Übergang wird durch nationale CO2-Zielvorgaben der Regierungen unterstützt und erfordert eine umfassende Elektrifizierung. Auch in Zukunft wird es aber weiterhin Bedarf für Kraftstoffe (für Luftfahrt, Schifffahrt und Schwerlastverkehr auf den Straßen) sowie für chemische Produkte und Materialien geben. Diese Sektoren und die damit verbundenen Produktionsprozesse sind heute für mehr als 35% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Die Herausforderung besteht darin, Kraftstoffe und chemische Produkte mit Hilfe von erneuerbaren Energien und Rohstoffen wie Biomasse und/oder CO2 herzustellen.
Darüber hinaus benötigen wir Lösungen, um das Ungleichgewicht zwischen Produktion und Energiekonsum auszugleichen. Dafür müssen Energiesystem und Produktionskapazitäten miteinander verknüpft werden, um ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage sowie eine kostenoptimierte Speicherung von erneuerbaren Energien zu ermöglichen. Batterien sind eine Möglichkeit; eine weitere vielversprechende Option für die Langzeitspeicherung ist die elektrochemische Produktion von Chemikalien (zum Beispiel Wasserstoff oder Ammoniak) als Energiespeicher. Die elektrochemische Umwandlung hat dabei den Vorteil, dass sich die Technologie leicht an die erzeugten Energiemengen anpassen lässt.
Der Workshop fand online statt und wurde aus einem Studio im Schloss Vaalsbroek (NL) übertragen. Dr. Winfried Horstmann (Abteilungsleiter Industriepolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie - BMWi), Dr. Stefan Kaufmann, Mitglied des Deutschen Bundestages und Innovationsbeauftragter Grüner Wasserstoff für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Drs. Focco Vijselaar (Abteilungsleiter für Unternehmen und Innovation im Ministerium für Wirtschaft und Klimapolitik) und Prof. Emmo Meijer (Lehrstuhl Topsector Chemie, im Auftrag von Topsectors Energy, High Tech Systems & Materials und Chemie) eröffneten die Veranstaltung.
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