Teil II des Interviews - Es ist Zeit zu handeln: Antibiotikaresistenzen im Abwasser
Erstellt von Marina Korogodska , 29.10.2020
Erfahren Sie im zweiten Teil des Interwiews mehr über die Problematik der Spurenstoffe im Abwasser sowie über die damit verbundenen Gefahren für Mensch und Umwelt, aber auch darüber, welche Lösungsansätze es bereits heute gibt.
Wie ist der Status quo in der Praxis? Wird die Technik bereits eingesetzt? Und wird die Belastung des Abwassers überwacht, routinemäßig?
Teilweise wird es schon an Mastbetrieben und Schlachthöfen genutzt. Da ist zum Teil schon ein Gespür vorhanden, dass das Abwasser von Schlachthöfen durch Ozonung oder Membrantechnologie desinfiziert werden muss, um die Belastung für das kommunale Abwassersystem zu reduzieren. Routinemäßig wird an Abwassersystemen und Kläranlagen nicht getestet.
"Das ist vom Gesetzgeber auch gar nicht vorgeschrieben, dass auf Antibiotikaresistenz getestet werden soll. Deshalb haben wir ein großes Interesse daran, dass der Parameter „Antibiotikaresistenz“ in Regulierungen mit aufgenommen wird."
In der Wasserrahmenrichtlinie taucht der Begriff „Mikrobiologie“ noch nicht einmal auf. Resistenzen treten in Verordnungen wie der Badegewässerverordnung auch nicht auf. Da konzentriert man sich auf das alte Indikatorprinzip, was auf Robert Koch zurückgeht. Robert Koch ist 1910 gestorben. Damals mag das noch einen Sinn gehabt haben, hat es ja auch, aber wir haben es heute auch noch mit ganz anderen Problemen zu tun. Wenn es um Schutzgüter geht, müssen wir ein effektives Monitoring mit Indikatoren für Antibiotikaresistenz, antibiotikaresistente Bakterien oder Resistenzgene haben. Und wenn da etwas anschlägt, müssen entsprechende Maßnahmen an Kläranlagen oder nachfolgenden Systemen getroffen werden, um die Weiterverbreitung bis hin zum Menschen zu verhindern.
„In Deutschland hinken wir anderen Ländern hinterher, die viel sensibler und spezifischer mit der Problematik Antibiotikaresistenz umgehen, z.B. Dänemark oder die Niederlande.“
Das heißt, über die Umwelt können die Erreger zurück zum Menschen gelangen?
Auf jeden Fall. Es wurde bereits gezeigt, dass über die Bewässerung in der Landwirtschaft Salat, Tomatenpflanzen und so weiter besiedelt werden können. Auch dass die Bodenmikrobiologie durch die Anwesenheit dieser antibiotikaresistenten Bakterien beeinflusst wird. Man konnte sogar zeigen, dass diese Bakterien von den Pflanzen aufgenommen werden, wie im Fall von Tomaten. Sie haften also nicht nur auf der Oberfläche. Hier gibt es noch keine Vorschriften, dass darauf routinemäßig kontrolliert wird. Das heißt, wir brauchen eine Regulation und ein Monitoringsystem, Indikatoren und Bewertungssysteme. Und wir können schon jetzt Maßnahmen ergreifen, um diese Verbreitungswege zu reduzieren. Aus Sicht eines Umweltmikrobiologen sollten wir hier nicht abwarten. Die Daten liegen vor. Worauf sollen wir warten? Die Problematik ist international bekannt und diskutiert. Dass wir etwas tun müssen, wird von der WHO, von der UN-Vollversammlung und auf Gipfeltreffen gefordert. Die Thematik wurde beispielsweise schon beim G7-Gipfel diskutiert.
Wie können diese Anstrengungen vorangetrieben werden?
Wir als Wissenschaftler können kommunizieren, das Problem auf Tagungen darstellen und die Politik treiben. Dass zumindest die Akzeptanz da ist, dass das Problem in Verordnungen benannt wird. In Brandenburg stand es beispielsweise vor den Wahlen in Vorverhandlungen mit drin, dass man auf bestimmte Bereiche wie kommunale Kläranlagen achten muss. Nichtsdestotrotz haben wir eine große Lobby, z.B. was die Tiermast betrifft, so dass es hier sehr schwierig ist dagegen zu argumentieren. Wenn in bestimmten Bundesländern die Geflügelmast hochgezogen wird und das Abwasser ohne spezifische Aufbereitung in die Umwelt gelangt, ist das sehr kritisch zu bewerten. In Deutschland hinken wir anderen Ländern hinterher, die viel sensibler und spezifischer mit der Problematik Antibiotikaresistenz umgehen, z.B. Dänemark oder die Niederlande. Da geht man mit dem Problem viel gezielter um, um zu vermeiden, dass diese Resistenzen entstehen und dass wir durch Selektivprozesse eine Evolution vorantreiben.
„Mit Extremwetterereignissen, Trockenperioden etc. kommt die Problematik der antibiotikaresistenten Bakterien aus dem Abwasser auch immer stärker zum Tragen.“
Wie steht es um die Problematik der Spurenstoffe im Abwasser, wie z.B. Arzneimittelrückstände?
Auch hier ist eine Verbindung zur Antibiotikaresistenz zu sehen. Dort, wo viele Antibiotika und Medikamente eingesetzt werden und ins Abwasser gelangen, gibt es eine Art selektiven Prozess, der die Resistenzbildung unterstützt. Nun wird von verschiedensten Seiten gesagt, dass die Konzentrationen von Antibiotika und Pharmazeutika, die wir in der Umwelt messen, nicht von klinischer Relevanz sind. Es mag vielleicht in dieser Hinsicht nicht von klinischer Relevanz sein, dass man sagt, man kann die Bakterien dadurch inhibieren oder abtöten. Aber durch diese geringen Konzentrationen löst man selektive Prozesse aus. Die Bakterien registrieren die Anwesenheit der Stoffe in ihrer Umgebung und reagieren darauf, indem bestimmte Anpassungsprozesse und Stressreaktionen verstärkt ausgebildet werden. Man spricht dann auch von einem hormetischen Effekt. Auch geringe Konzentrationen von Wirkstoffen in unserer Umwelt haben in Bakterien eine spezifische Wirkung und können zu einem unerwünschten Effekt führen. Auch wenn geringe Konzentrationen von Pharmazeutika zunächst keine medizinische Bedeutung haben, haben sie in Bezug auf eine Evolution der Bakterien sehr kritische Auswirkungen.
Im Projekt haben wir am KIT auch gezeigt, dass andere Pharmazeutika wie Anti-Diabetika in geringer Konzentration einen Effekt bei Bakterien haben können, und dadurch bestimmte Virulenz-Gene in Bakterien aktiviert werden. Das betrifft beispielsweise Bakterien, die wir auch in unserem Darmsystem haben. Es konditioniert Bakterien dazu, Stressantworten auszubilden, weil diese immer in Habachtstellung sind. Man weiß ja auch, dass z.B. Schwermetalle Antibiotikaresistenz mit induzieren können, weil diese Gene benachbart liegen. Und wenn man das eine induziert, induziert man das andere auch. Dadurch dass beides eine große Relevanz hat, muss man eigentlich beides betrachten: Spurenstoffe und Antibiotikaresistenzevolution oder -anwesenheit. Wobei diese Sichtweise für antibiotikaresistente Bakterien oder Mikroben generell noch dadurch eine besondere Relevanz erfährt, dass es sich um vermehrungsfähige Organismen handelt.
Das erklärt ganz gut, warum bei der Konferenz „Spurenstoffe und Krankheitserreger im Wasserkreislauf“, bei der Sie als Hauptredner sprechen werden, beides thematisiert wird. Weil beides ein Problem ist und auch zusammenhängt.
Genau, dort werde ich auch kombinatorische Verfahren vorschlagen, die man entsprechend ansprechen und an diesen kritischen Punkten implementieren sollte, wo der Link zwischen Abwasser unterschiedlicher Herkunft und Umwelt besteht. Denn das ist die kritische Verbindung, wo wir Maßnahmen treffen müssen, um uns und die Umwelt zu schützen. Gerade wenn Schutzgüter wie Wasserressourcen für die Trinkwasseraufbereitung, Badegewässer oder die landwirtschaftliche Bewässerung davon betroffen sind. Durch die Trockenperioden passiert es immer häufiger, dass naheliegende Gewässer zur Bewässerung genutzt werden, weil das Grundwasser weiter absinkt. In der EU wird sogar diskutiert, einen Re-use von Kläranlagenausläufen zu nehmen. Das ist der direkte Re-use, während der indirekte als Oberflächenwasser mit Abwasseranteilen definiert ist. Mit Extremwetterereignissen, Trockenperioden und so weiter kommt die Problematik der antibiotikaresistenten Bakterien aus dem Abwasser auch immer stärker zum Tragen. Leider fehlt oft das Verständnis für diese komplexen Zusammenhänge, so dass man sich nur auf Spurenstoffe beschränkt und für den Bereich etwas fordert, aber nicht darüber hinausschaut. Aber es gibt noch eine Problematik, die berücksichtigt werden müsste. Die Mikrobiologie, die zum Beispiel auch für die Wasserrahmenrichtlinie eine große Rolle spielen sollte, muss zukünftig in solche Regularien mit einfließen. Gerade wenn es um die Bewertung bestehender Verordnungen in Hinblick auf die Antibiotikaresistenz geht, ist die SUK 2021 ein gutes Diskussionsforum.
Zur Person
Prof. Dr. Thomas Schwartz wurde 1963 in Kaiserslautern geboren. Nach seinem Studium der Biologie an der Universität Kaiserslautern promovierte er 1991 an der Fakultät Biologie der Universität Heidelberg. Thomas Schwartz ist seit 2001 Arbeitsgruppenleiter und Abteilungsleiter des Bereichs Mikrobiologie und Molekularbiologie am Institut für Funktionelle Grenzflächen (IFG) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT-Campus Nord). Außerdem ist er seit 2015 Honorarprofessor an der Hochschule Mannheim. Arbeitsschwerpunkte sind: Entwicklung und Biodiversität von Biofilmen in technischen Prozessen, Nachweis von molekularen Stressantworten bei Pathogenen, Nachweis und Verbreitung von Antibiotikaresistenzen, Biotransformation, biologische Risikoabschätzung von Aufbereitungstechniken sowie Genregulation in bakteriellen Populationen.
Auf der Konferenz „Spurenstoffe und Krankheitserreger im Wasserkreislauf“ vom 19. bis 20. April 2021 können Sie Herrn Schwartz als Plenarsprecher live erleben, mehr zum Thema erfahren und mitdiskutieren. Bis zum 1. Dezember können Sie Vortrags- und Posterbeiträge für die Konferenz einreichen.
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